So tun, als ob es regnet.

Wolff, Iris: So tun, als ob es regnet. Roman in vier Erzählungen. Otto Müller Verlag Salzburg-Wien 2017, 165 S.

„Es war einmal, und ist doch nie geschehen -, Hedda hatte
diesen rätselhaften Anfang der rumänischen Märchen
immer gemocht, auch wenn sie ihn als Kind nicht ganz
verstehen konnte.

Vier Erzählungen über vier Generationen einer Familie im ländlichen Siebenbürgen. Leitfigur ist Henriette, einst das „Nesthäkchen“, präsent als Großmutter noch nach ihrem Tod bis in die letzte Erzählung. Die Zeit umfasst beide Weltkriege, die Zwischenzeit der wirtschaftlichen Depression, die kommunistische Diktatur, die Zeit danach bis heute.

Die Hauptfiguren, vom Soldaten Jacob in der Anfangsgeschichte bis zu Hedda in der letzten, bewegen sich wie Traumwandler in der sie umgebenden Welt, unbestimmt, unbestimmbar, anwesend  und abwesend zugleich. „Hedda war oft gleichzeitig in dem Moment, den sie erlebte, und außerhalb“ (S. 146 f). Vicco  „hatte die Eigenheit, die Dinge so zu formulieren, dass es möglich  war – nur möglich, nie intendiert -, sie auf etwas anderes zu beziehen“ (S. 136). Auch die Natur entzieht sich eindeutiger Wahrnehmung. „Die Straße lag verlassen da, die Häuser hielten sich schlafend an den Händen, die Hoftore gähnten – oder lachten sie sie aus?“ (52 f). Henriette: „Und manchmal gelang es ihr, sich einzureden, sie habe sich nicht verirrt.“ (S. 72) Sehnsucht nach einer Welt jenseits des Dorfes.

Die Sprache des Romans betörend schön. Nur in Andeutungen, was die ländliche Idylle verbirgt: Erfahrungen von Krieg, Menschen auf der Flucht, Geheimpolizei, Deportationen nach Russland, Vergewaltigung, Gefängnis, Folter... Die Menschen reden darüber nicht. Sprachlosigkeit auch in  familiärer Nähe.

 Tod und Sterben: Jacob in der ersten Erzählung erfährt von der Selbsttötung seines Bruders und wird selbst auf dem Rückweg zu seiner Militäreinheit erschossen in einem Moment voller glücklicher Erinnerungen an die letzte Nacht und die Frau, mit der er sie verbrachte.
Vicco, Henriettes Sohn, zu Beginn der 3. Geschichte: „Jetzt also würde er sterben“ (S.88). Blitzartige Assoziationen im Augenblick eines nächtlichen Motorradunfalls...
Im Schlusskapitel der antike Mythos vom Fährmann, der die Menschen ans andere Ufer, in eine andere Welt bringt. Hedda beobachtet am Kai ein Paar, das sich mit einem Fischer trifft, der sie auf seinem Boot mitnimmt. Das Boot, der Fischer und das Pärchen kehren nicht mehr zurück. Hedda kommt der Gedanke, ob das Paar vielleicht mehr oder weniger wissentlich auf ihn, den Tod, zugegangen waren und ihm beide Hände entgegenstreckten, „weil sie ihn, wie es Henriette als junger Frau geschehen war, mit dem Leben verwechselt hatten“ (S. 159).