Precht, Richard David: Lenin kam nur bis Lüdenscheid. Meine kleine deutsche Revolution. Berlin 2007, 350 S.

Precht, Jg. 1964, erzählt von Kindheit und Jugend in einem linken, puritanischen Milieu, bürgerlich.
Die Eltern: sehr engagiert bei Terre des hommes im Adoptionsprogramm für vietnamesische Waisenkinder, vermitteln nicht nur, adoptieren auch selbst.

Der Junge und seine Geschwister wachsen auf ohne Cola und Ketchup. Die aktuelle DDR-Oberliga kennt er besser als die Bundesliga. Sein Fußballidol ist Sparwasser. Fernsehbeschränkungen zu Hause. Montags in der Schule reden die Mitschüler über Sendungen, die er nicht kennt. Im Gymnasium Klassenarbeit Vorgangsbeschreibung: „Auto waschen“. Er kann nichts schreiben. Das elterliche Auto, ein gebrauchter VW-Bus, wurde nie gewaschen. Im Englisch-Unterricht „Imagine, there is no heaven, above us only sky...“ 
Er ist der einzige, der das Lied nicht kennt. Er ereifert sich gegen „Lennons Kifferkitsch“. „Wo gibt es die denn noch, wo besteht denn noch ein Anlass zu echter Hoffnung, dass sich die kapitalistische Welt eines Tages in einem großen Kampf auflösen sollte“  (S. 308 f) Die Eltern weigern sich, für den Unterricht einen Taschenrechner zu kaufen.

Die Mutter ist weiterhin bei Terre des hommes aktiv: Kleidersammlung im Ort. Einige Stücke legt sie für die eigenen Kinder zur Seite. Der Junge bekommt einen Mantel, den dann eine Mitschülerin als ihren wiedererkennt... „Manteldieb“...

Für uns (Jge. 1940 u.1942) viele persönliche Erinnerungen:

• die Lieder von Hannes Wader. Franz Josef Degenhardt, „Spiel nicht mit den Schmuddelkindern“, Dieter Süverkrüp und sein Baggerführer Willibald, Nicole und ein bisschen Frieden...“Avanti popolo“ ist noch heute der Erkennungspfiffs für Steffi und mich.
• die Krimis von Sjöwall/Wahlöö; Summerhill...
• die Selbstauflösung des SDS, der Zerfall der Linken in K-Gruppen, Maoisten, Esoteriker-Zirkel, Frauengruppen, Anti-Atomkraft-Aktivisten
• die Entstehung der RAF, die Friedensbewegung...
• die Demo gegen den NATO-Doppelbeschluss im Bonner Hofgarten 1979 (Picknick mit Rotwein bei strahlender Herbstsonne)

Die Biografie geht über die Wiedervereinigung hinaus, reflektiert ziemlich schonungslos politische Entwicklungen, erinnert an verwinkelte politische Biografien späterer Bundespolitiker.

„Warum stehen auf der richtigen Seite nur noch die Bekloppten?“ „Die Vernunft des Herzens“ ist eine solche, von der der Verstand nichts weiß. (Blaise Pascal)