Der Fall Meursault

Kamel Dahoud, Der Fall Meursault – eine Gegendarstellung, Kiepenheuer & Witsch Köln 2017, 199 S.

„Der namenlose Araber aus Albert Camus' weltberühmtem Roman >Der Fremde< bekommt hier eine Identität und eine Geschichte. Es ist eine Geschichte voller Wut, Trauer, Leidenschaft und Poesie vor dem Hintergrund der algerischen Befreiungsbewegung, die uns Haroun, der Bruder des Arabers, erzählt.“(Klappentext)

Der Roman ist ein einziger Monolog. Haroun sitzt in einer Bar und erzählt von seinem Bruder, der vor mehr als einem halben Jahrhundert am Strand ermordet wurde von Meursault, dem Ich-Erzähler  in Camus'  „Der Fremde“.

Haroun weiß selbst nicht, was an seiner Geschichte wahr ist, was Wunschdenken, Phantasie, Hörensagen. „Ich kann mich an fast nichts mehr erinnern, so oft wie ich diese Geschichte schon erzählt habe.“ Er war damals noch ein Kind. Andeutungen, Rückblicke, Abschweifungen schaffen eine intensive Atmosphäre, deren Sog packt. Haroun erzählt seine Geschichte einem der vielen Doktoranden, Studenten, Literaturwissenschaftler, die den Spuren von Camus nachgehen. Er wendet sich an Meursault, den Mörder, an Camus, den Leser, redet mit sich selbst.

Harouns Mutter ist ihr Leben lang besessen, den Tod des Sohnes aufzuklären. Sie drängt Haroun in die Rolle des großen Bruders, dessen viel zu große Kleider das Kind tragen muss, erwartet, dass er seinen Bruder rächt. Er nennt sie einmal „ein Monster von Mutter“.

„M'ma lebt - immer noch. Sie sagt zwar nichts mehr, aber sie hätte einiges zu erzählen. Anders als ich.“ So fängt der Roman an.

„Heute ist Mutter gestorben. Oder vielleicht  gestern. Ich weiß es nicht.“ So die Eingangssätze bei Camus.

Nachsatz: Ich habe Camus' „Der Fremde“ nicht gelesen. Mein Lesevergnügen hat das nicht beeinträchtigt.